Ein schwarzer Schwan ist ein extrem unwahrscheinliches Ereignis, welches jedoch, wenn es eintritt, eine sehr große Kraft entwickelt. Die Folgen eines schwarzen Schwans können sehr katastrophal sein. Der philosophische Essayist Nassim Nicholas Taleb prägte den Begriff maßgeblich mit. In seinem Buch „Der Schwarze Schwan: Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse“ stellt er seinen Denkansatz vor.
Schwarze Schwäne – die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse
Bis zum 17. Jahrhundert glaubten die Menschen, es gäbe nur weiße Schwäne. Die Vorstellung, dass es auch andersfarbige Schwäne geben könnte, mutete nahezu lächerlich und utopistisch an. Das galt als nahezu ausgeschlossen. Dann entdeckte man, dass es eben doch schwarze Schwäne gab.
Die Überraschung war groß und hatte enormen Einfluss auf die Wahrnehmung der Natur. Heute wird der Begriff synonym für Ereignisse mit einer sehr geringen Eintrittswahrscheinlichkeit verwendet. Wenn diese Ereignisse jedoch eintreten, können sie einen ungeahnten Einfluss auf die Umwelt haben. Beispiele hierfür sind unter anderem:
- Atomunfälle
- Wirtschaftskrisen und Börsencrashs
- Revolutionen
- Erdbeben
Welche Eigenschaften haben Schwarze Schwäne?
Extrem seltene Ereignisse und Zufälle weisen mehrere Eigenschaften aus, die ich im nachfolgenden einmal darlegen möchte.
Die narrative Verzerrung von extremen Zufällen – warum hinterher alles erklärlich ist
Extreme Ereignisse werden in der Regel nicht vorhergesagt. Keiner hat den Reaktorunfall in Fukushima, das Erdbeben in Nepal oder die Corona-Krise 2019/20 kommen sehen. Genauso wenig wurde der Börsencrash 1987 am Tag zuvor vorhergesagt. Das liegt in der Natur dieser schwarzen Schwäne. Sie sind massiv vom Zufall geprägt und daher auch nicht vorhersehbar. Ds Ereignis wird immer erst nachträglich „erklärt“ und erscheint dann eine nachvollziehbare Entwicklung gewesen zu sein. Der Börsencrash 1987 wurde mit unzureichend programmierten Computerprogrammen bei automatischen Handel erklärt. Die Programme wurden geändert und es wurde erklärt, dass ein Börsencrash zukünftig nahezu unmöglich sei. Mark Buchanan schreibt in seinem Buch „Das Sandkorn, das die Erde zum Beben bringt“:
„Was den Crash von 1987 betrifft, so haben (…) viele Analysten dem Computerhandel die Schuld gegeben, so wie es damals beim großen Crash von 1929 die aufgeblähten Schulden gewesen sein sollen. 1997 wurde zur Erklärung für den Zusammenbruch eines ökonomischen Traumgebildes, der Wirtschaft der südostasiatischen Tigerstaaten, die übergroßen Auslandsschulden ins Feld geführt – allerdings wieder einmal erst nach dem Ereignis.“
Ähnlich verhält es sich regelmäßig mit geschichtlichen Entwicklungen und Ereignissen Nach dem ersten Weltkrieg haben die Historiker vielfältige Erklärungen herbei interpretiert. Je nachdem, welchen Schwerpunkt der jeweilige Historiker gesetzt hat oder welcher Nationalität er/sie angehörte, kamen unterschiedliche Ursachen als Erklärung zutage.
Das Leben ist kein Casino – die „ludische Verzerrung“ täuscht mathematische Wahrscheinlichkeit vor
Als die ludische Verzerrung von unwahrscheinlichen Zufällen bezeichnet Taleb Risikoklassen, die in einer „sterilen“, künstlichen Umgebung mit festen und berechenbaren Regeln gelten:
„Kasinos sind die einzige mir bekannte menschliche Unternehmung, wo die Wahrscheinlichkeiten bekannt, gaußsch (das heißt glockenkurvenförmig) und fast berechenbar sind. Man kann von einem Kasino nicht erwarten, dass es einem Spieler seinen Einsatz millionenfach zurückzahlt oder die Regeln während des Spiels abrupt ändert – es gibt keine Tage, an denen vorgesehen ist, dass die Kugel in 95 Prozent der Fälle auf 36 landet. Im wirklichen Leben kennt man die Chancen nicht.“ Taleb, S. 162f
Taleb kritisiert mit diesem Ansatz die Denkweise von Risikobewertungen, die man aus der Spieltheorie kennt in der Übertragung auf das wirkliche Leben. In der Spieltheorie und dem Spiel – wie am Beispiel Kasino – gelten feste und für alle Teilnehmer bekannte Regeln, die statistischen Gesetzen entsprechen. Er warnt jedoch davor, diese Annahmen auf reale Sachverhalte zu beziehen.
Ein gutes Beispiel hierfür ist die statistische Sicherheit von Kernreaktoren / Atomkraftwerken. So komme die Gesellschaft für Anlage- und Reaktorsicherheit (GRS) auf eine statistische Wahrscheinlichkeit eines Reaktorunglücks von einem GAU in einer Million Jahren. Diese Behauptung kann natürlich auf Grund des langen Zeitraums schlecht überprüft werden. Die jüngste Vergangenheit zeigt jedoch, dass de facto in der realen Welt bereits mindestens drei größere Reaktorunfälle (Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima) aufgetreten sind. Die Zeitspanne für die drei Ereignisse sind alles andere als eine Million Jahre. Rein statistisch müsste jetzt mindestens vier Millionen Jahre alles sicher sein – wer möchte darauf wetten?
Wie hat es der Karikaturist Horst Haitzinger doch so schön treffend nach Fukushima gezeichnet? Ein braver kleiner Mann, der sich höflich einem Grobian mit den Worten „Gestatten, ich bin die statistische Wahrscheinlichkeit“ vorstellt. Der Grobian zieht der statistischen Wahrscheinlichkeit mit einem Knüppel über den Kopf und sagt: „Angenehm, ich bin das Restrisiko.“
Die ludische Verzerrung findet man immer wieder in den unterschiedlichsten Lebensbereichen. Doch es gibt auch Hoffnungen: Die Atomindustrie verlässt sich angesichts der die Statistik widerlegenden Fakten mittlerweile nicht mehr auf unsinnige und in der realen Welt untaugliche Statistikkonzepte, sondern bezieht die Existenz der schwarzen Schwäne aktiv in die Risikobewertung ein. So werden Atomkraftwerke neuerdings mit dem Wissen um solche GAUs gebaut, allerdings wird nun überlegt, wie man im Falle eines schwarzen Schwans die Folgen minimieren kann – z.B. durch zusätzliche Baumaßnahmen.
Die statistisch-regressive Verzerrung – einfach weiter so wie bisher?
Man stelle sich eine nach oben steigende Gerade als Darstellung einer Meßreihe aus der Vergangenheit vor. Die Frage lautet nun: Wie wird dieses Chart sich in der Zukunft entwickeln? Dies ist eine typische Frage in der prediktiven Analytik – man versucht aus Vergangenheitswerten auf die Zukunft zu schließen.
Die meisten Analytiker werden nun intuitiv die Gerade einfach weiterzeichnen und eine weitere Steigung der Werte für die Zukunft annehmen. Dabei, so Taleb, könne die Kurve für die Zukunft auch steiler nach oben gehen oder einfach auch nur abstürzen. Die Tatsache, dass die Vergangenheit Werte in eine Richtung geliefert hat, müsse nicht zwangsläufig dafür sprechen, dass dies auch weiterhin so bleibt. Vielmehr solle man auch von anderen Verläufen ausgehen, um vor unangenehmen Überraschungen (Zufällen – eben schwarzen Schwänen) verschont zu bleiben. Diese Art von Fehler in der Bewertung von (höchst mächtigen) Risikoklassen/Zufällen wird statistisch-regressive Verzerrung genannt. Wie man an folgender Metapher gut zeigen kann, werden Truthähne auf Grund dieses Fehlers oft Opfer eines schwarzen Schwans.
„Sei nicht der Truthahn“ – oder warum Truthähne schwarze Schwäne fürchten sollten
Wir stellen uns einen Truthahn vor, der wohlbehütet bei einem Bauern aufwächst. Jeden Tag erhält dieser Truthahn vom Bauern reichlich zu essen und der Truthahn wird jeden weiteren Tag zu der Erkenntnis kommen, dass der Bauer es ausgesprochen gut mit ihm meint. Das Wohlbefinden des Truthahns steigt täglich aus der Erfahrung der Vergangenheit. Das geht etliche Tage so gut und an dem Punkt, an dem der Truthahn glaubt, es könne ihm gar nicht besser gehen, kommt der Tag Thanksgiving…
Der Truthahn glaubt mit jedem Tag, der vergeht, mehr, dass der Bauer es gut mit ihm meint – und dann kommt Thanksgiving.
Thanksgiving ist für den Truthahn ein schwarzer Schwan. Der Moment, in dem der Schlachter kommt, war völlig unerwartet und aus der Vergangenheit nicht ersichtlich. Ein echter Zufall eben, der zudem noch eine unwahrscheinliche Macht auf das weitere Leben des Truthahns hat. Der Truthahn ist ein sehr gutes Beispiel für die statistisch-regressive Verzerrung: Nur weil es in der Vergangenheit gut gelaufen ist, muss das nicht zwangsläufig und automatisch für die Zukunft gelten. Wichtig ist hier der Perspektivwechsel. Hätte der Truthahn sich in die Rolle des Bauern versetzt, hätte er vielleicht ahnen können, was ihn erwartet. Die Interpretation der Vergangenheitsdaten ist hier der entscheidende Punkt:
„Falls Sie bis morgen überleben, kann das entweder bedeuten, dass Sie mit größerer Wahrscheinlichkeit unsterblich sind, oder dass Sie dem Tod näher gekommen sind. Beide Schlussfolgerungen beruhen auf genau den gleichen Daten.“ (Taleb, S. 231)
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