Die Ökonomin Kate Raworth bietet mit ihrem Ansatz der Donut-Ökonomie (engl.: Doughnut Economics) ein neues und zukunftsfähiges Wirtschaftsmodell an, welches der Menschheit ermöglicht, zu gedeihen und „ein florierendes Gleichgewicht herzustellen“. So lassen sich die Herausforderungen der aktuellen Zeit meistern: Klimawandel, soziale Ungleichheit, eine stark wachsende Weltbevölkerung mit der verbundenen Nahrungsmittelverteilung und viele Probleme mehr.
Kate Raworth (geb. 1970) ist eine britische Wirtschaftswissenschaftlerin und hat sich im Rahmen ihrer Tätigkeit mit einem Wirtschaftsmodell beschäftigt, welches den Planeten schont und der Menschheit in Gänze dient. In ihrem TED Talk fasst sie ihre Überlegungen zusammen.
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Mehr InformationenDie aktuell vorherrschende und praktizierte Wirtschaftslehre stellt mit sieben wesentlichen Annahmen seit über 150 Jahren die Rahmenbedingungen für gesellschaftliche und politische Entscheidungen bereit. Diese Annahmen der klassischen Wirtschaftslehre seien, so Raworth:
Diese wirtschaftlichen Lehren der Vergangenheit passen – so Raworth – nicht zu den gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen der heutigen Zeit. Stattdessen wird die Menschheit des 21. Jahrhunderts mit Wirtschaftstheorien aus Büchern von 1950 „versorgt“, die wiederum ihren Ursprung um 1850 herum haben. In der Folge wären die sieben alten „Dogmen“ nicht mehr geeignet, die Herausforderungen der heutigen Welt zu lösen. Es sei also Zeit, ein neues Wirtschaftsmodell zu entwickeln – die Donut Ökonomie.
Der Ring des Donuts ist der Bereich, in dem die Menschen gedeihen und wohlbefindlich leben können („the safe and just space for humanity“). Also sozusagen die Komfortzone. Die innere Grenze bildet das soziale Fundament, auf dem stabile Gesellschaften fußen. Wenn diese Bereiche Mängel aufweisen, könne die gesellschaftliche und soziale Stabilität auf Dauer nicht gewährleistet sein. Raworth definiert hier zwölf Bereiche, die zum sozialen Fundament gehören (in Anlehnung an die „UN sustainable development goals„):
Auf der Außenseite des Donuts stellt Raworth die ökologischen Grenzen unseres Planeten dar. Wenn die Menschheit oder einzelne Staaten diese Grenzen dauerhaft überschreiten, ist das Gesamtsystem Erde und damit die menschliche Existenzgrundlage in Gefahr. Diese Gefahren bestehen aus:
Das Ziel des Donuts ist somit definiert: Die Menschheit muss sich im Ring des Donuts befinden, um nachhaltig leben zu können. Daher kommt die Bezeichnung „Donut-Ökonomie“.
Kate Raworth bietet nun für jede klassische Wirtschaftsaussage eine zukunftsfähige Alternative an, die im folgenden vorgestellt werden.
Das von der vorherrschenden Wirtschaftslehre formulierte Ziel ist ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts. Dieses Wachstumsziel wird von der Politik vieler Länder aufgegriffen und in entsprechende Wirtschaftspolitik übersetzt. So heißt es z.B. für die deutsche Wirtschaftspolitik:
die v. a. durch das Stabilitätsgesetz vorgegebenen Ziele: Stabilität des Preisniveaus, hoher Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht sowie stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum. Diese Ziele werden auch als magisches Viereck (siehe dort) bezeichnet.
Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung
Oft wird in diesem Zusammenhang auch von „nachhaltigem Wirtschaftswachstum“ als Ziel gesprochen. Wobei „nachhaltig“ hier als „anhaltend erfolgreich“ und nicht als „umweltverträglich“ zu verstehen ist.Jedoch ist ein andauerndes Wirtschaftswachstum nach Kate Raworth das Kuckucksei im eigenen Nest: Es wird – weil als Ziel formuliert – zum Selbstzweck. Doch ist andauerndes Wachstum ein erstrebenswertes Ziel? Ist dieses Ziel auf Dauer überhaupt zu erreichen bzw. durchzuhalten? Und hilft dauerhaftes Wachstum der Menschheit auskömmlich zu leben oder sind es andere Dinge, die Vorrang haben sollten?
Ein jährliches Wachstum von 2% bedeutet am Ende ein exponentielles Wachstum. Viele Menschen können sich solche Exponentialfunktionen erst seit der Corona-Pandemie vorstellen und die Bedeutung ermessen. Wenn man diese Folgen bedenkt, sollte vielen Menschen klar werden, dass ein exponentielles Wachstum mit den begrenzten Ressourcen der Erde überhaupt nicht vereinbar sein kann.
Kate Raworth stellt fest, dass dieses Wachstumsziel den Menschen in vielen Lebensbereichen gar nicht diene, sondern mittlerweile mitunter sogar schädlich sei: Trotz (oder wegen?) permanenten Wachstums gäbe es mehr Umweltverschmutzung als zuvor, immer noch seien viele Menschen von Grundrechten wie z.B. freier Meinungsäußerung oder Zugang zu sauberem Trinkwasser oder Energie weit entfernt. Die planetarische Obergrenze an Umweltzerstörung wird in vielen Dimensionen bereits jetzt überschritten.
Deshalb stellt Raworth eine andere Zielsetzung der Wirtschaft in den Mittelpunkt der Donut-Ökonomie: Wie kann Wirtschaft zum Gedeihen der Menschen beitragen? Wie kann sie in die Gesellschaft eingebettet werden? Die Donut-Ökonomie entwickelt das Ziel „Gut“ ist gleichbedeutend mit „im Gleichgewicht zu sein“ anstatt des alten Ziels „Gut = vorwärts und aufwärts (im Wachstum)“. Dieses Ziel kann auf allen Ebenen der Gesellschaft wirken: im persönlichen Lebensstil, als Unternehmensstrategie und auf gesellschaftlicher und politischer Ebene.
In zahlreichen Wirtschaftsbüchern wird das Wirtschaftssystem als makroökonomischer Kreislauf dargestellt. Die Teilnehmer dieses Wirtschaftskreislaufes sind überschaubar: Haushalte, Unternehmen, Banken, der Staat und Handel. Dieser Kreislauf wird als geschlossenes System dargestellt und stand lange Zeit als Gegenentwurf zu den totalitären Strömungen der damaligen Zeit (z.B. der Kommunismus in der Sowjetunion). Das Modell war also durch die politische Zeit geprägt und setzte sich über die Jahrzehnte durch die Politik getrieben weiter fort. Insbesondere zu Zeiten von Reagan und Thatcher erhielt dieses makroökonomische Modell eine große Beliebtheit.Diese Kreislaufdarstellung hat allerdings Schwächen, die aktuell zum Vorschein kommen:
In der klassischen Wirtschaftstheorie steht die Wirtschaftsbeziehung von Haushalten zu Unternehmen im Zentrum der Betrachtungen. Haushalte stellen den Unternehmen Arbeitskraft und Kapital zur Verfügung und Unternehmen verkaufen den Haushalten Waren und Dienstleistungen. Diese Beziehung wird oft in einem Kreislaufdiagramm dargestellt. Dieser Kreislauf wird – je nach Darstellung- noch um Banken, den Staat und den (Außen-)handel erweitert. Aus diesen Teilnehmern der klassischen Wirtschaftstheorie hat sich ein übliches Bild ergeben.
In dieser klassischen Kreislaufdarstellung fehlen relevante Einflussgrößen, die für ein nachhaltiges und gerechtes Wirtschaften unerlässlich sind. Diese Einflüsse sind mitunter so erheblich, dass sie auf jeden Fall berücksichtigt gehören. Dazu zählen unter anderem:
In der Donut-Ökonomie wird das ökonomische Modell um die oben genannten Marktteilnehmer erweitert. Dabei werden auch die jeweiligen „Eigenschaften“ dieser Einflussgrößen berücksichtigt. Die Erde beispielsweise dient auf der einen Seite als Rohstoffgeber, auf der anderen Seite jedoch auch als „Speicher“ für den Abfall, den wir produzieren.Das Gemeinwesen ist ein weiterer Teilnehmer in einem eingebetteten Wirtschaftssystem. Viele Aktivitäten, die dem Menschen Wohlbefinden geben, sind selbstorganisiert und auf freiwilliger Basis. Die digitale Entwicklung der letzten Jahrzehnte hat dieser Form von Zusammenarbeit zu großer Bekanntheit verholfen: Open Source Software und Wissensdatenbanken (z.B. Wikipedia), freie Online-Kurse zur Weiterbildung oder dezentrale Herstellprozesse (z.B. 3D-Druck) sind gute Beispiele für die „Wirtschaftsleistung“ des Allgemeinwesens.Kate Raworth zeichnet aus diesen Erkenntnissen ein neues Bild der „eingebetteten Wirtschaft“, in der die alten „Spieler“ mit den neuen „Teilnehmern“ anders interagieren, um zukünftig das Wohlbefinden aller Menschen zu steigern. Wirtschaft ist kein geschlossenes System mehr, sondern eingebettet in den größeren Kontext.
Die klassischen Wirtschaftsmodelle haben ein sehr rationales Menschenbild geprägt: Den Homo Oeconomicus. Dieses Menschenbild sei, so Kate Raworth, jedoch für die Erklärungen der Zukunft unzureichend. Sie entwickelt daher das Menschenbild von „sozial anpassungsfähigen Menschen“, welches sie dem Homo Oeconomicus als Entwurf gegenüberstellt und der wirtschaftliches und soziales Handeln kombiniert. Das entspräche einem deutlich menschenfreundlicheren Wirtschaftsmodell und wäre dadurch realitätsnäher.
Im Zentrum der Volkswirtschaftslehre steht der Homo Oeconomicus. Dieses Menschenbild orientiert sich auf wenige, für die Wirtschaft bedeutsame, Eigenschaften. Nahezu „gottgleich“ wird dem Menschen eine perfekte Voraussicht bei perfektem Wissen und Informiertheit unterstellt. Der Homo Oeconomicus ist ein Nutzenmaximierer mit festen Präferenzen. Mit diesen Eigenschaften ausgerüstet, entscheiden wir Menschen dann zu 100% rational, welche Kauf- und Investitionsentscheidungen wir vornehmen. Diese doch eingeschränkte Darstellung der menschlichen Existenz mache unterschwellig „einen Bürger / eine Bürgerin“ zum „Konsumenten“, der Waren nach seinen (fixen) Präferenzen einkauft. Die weiteren Facetten des Menschseins werden modellhaft ausgeblendet (oder böse gesagt: ignoriert).
Mittlerweile ist wissenschaftlich erwiesen, dass Menschen einer Vielzahl von kognitiven Verzerrungen ausgesetzt sind und rationale Entscheidungen eher Wunschdenken als Realität sind.
„Die moderne Hirnforschung belegt: Gefühle sind bei jeder Entscheidung ein zentraler Faktor. Der Verstand bereitet die Entscheidungen zwar vor, doch ohne Gefühle kann man sie nicht treffen.“
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Dieser Homo Oeconomicus sei also für eine komplexe Realität nicht ausreichend, um das Handeln in der Wirtschaft zu erklären. Daher entwirft Kate Raworth ein anderes Menschenbild für die Donut-Ökonomie.
Kate Raworth stellt dem Homo Oeconomicus ein realitätsnäheres Menschenbild gegenüber: Das Bild des sozial anpassungsfähigen Menschen. Raworth betont folgende fünf Eigenschaften, die einen relevanten Einfluss auf das Verhalten in einer Ökonomie haben:
Die Volkswirtschaftslehre der Vergangenheit arbeitet mit Modellen und Systemen, die sich selbst „wissenschaftlich“ nennen. Nicht umsonst heißt es ja auch „Wirtschaftswissenschaften“. Aus diesem Selbstverständnis heraus wird den Modellen mitunter eine physikalische Gesetzmäßigkeit unterstellt, wie man sie sonst nur den Naturgesetzen zugesteht: „Wenn A passiert, wirkt sich das mit x auf B aus.“
Leider verhält es sich in der Realität nicht so physikalisch genau. Viele Ereignisse der Vergangenheit haben gezeigt, dass Folgen wirtschaftlichen Handelns zu komplex sind, als das man sich auf einfache Erklärungsmodelle verlassen könnte. Große Wirtschaftskrisen wie z.B. 2008 die Immobilienblase zeigen den einfachen Kurvenmodellen die Grenzen auf. Genauso wie langfristige Effekte wie der Klimawandel.
Die Volkswirtschaftslehre nutzt als Basissystem das Modell von Angebot und Nachfrage und einem sich daraus bildenden Gleichgewicht: Zu einem bestimmten Preis wird eine bestimme Menge nachgefragt. Auf der anderen Seite sind Unternehmen bereit, zu einem bestimmten Preis eine bestimmte Menge der Ware zu produzieren. Da wo sich die beiden Kurven schneiden, bilden Nachfrage und Angebot ein Gleichgewicht. Gerät das System in Ungleichgewicht, werden sich die Kurven durch Anpassungen der produzierten und nachgefragten Mengen über den Preis wieder ins Gleichgewicht bringen. Das klingt verlockend simpel und überzeugend.
Leider hat das System mit seinem mechanischen Gleichgewicht einen großen Nachteil: Die Realität und die Einflussfaktoren in der Realität sind viel zu komplex, als das ein einfaches Diagramm mit zwei Kurven und einer Preisvariable diese Realität erklären oder gar vorhersagen könnte.
In der Erklärung komplexer Sachverhalte haben sich dynamische Feedback-Schleifen mit verstärkenden und ausgleichenden Faktoren besser bewährt. Erklärt sei dies kurz am Beispiel der unten stehenden Abbildung. Je mehr Eier es gibt, desto mehr Hühner gibt es und umgekehrt – ein Beispiel für ein sich verstärkendes Feedbacksystem. Auf der anderen Seite kann es auch ausgleichende Feedbacksysteme geben: Je mehr Hühner es gibt, desto mehr Hühner werden die Straße überqueren. Je mehr Hühner die Straße überqueren, desto weniger Hühner wird es geben. Komplexe Öko- und Klimasysteme können mit solchen dynamischen Feedback-Schleifen dargestellt werden. Aus diesen Feedback-Schleifen lassen sich verstärkende und ausgleichende Effekte erkennen.
In der Volkswirtschaftslehre wird häufig die Ansicht vertreten, dass mit steigendem Einkommen der Volkswirtschaft als Ganzes auch die Ungleichheit innerhalb der Gesellschaft wieder absinkt (nachdem sie zunächst einmal angestiegen ist). Der vielzitierte Spruch „No Pain, no gain“ symbolisiert diese Ansicht, die vom Ökonomen Simon Kuznets in ein geradezu „ikonisches Diagramm“ (K. Raworth) gebracht wurde. Doch stellt sich die Frage, ob diese Annahmen richtig sind und ob sie überhaupt noch Gültigkeit haben (können)?
Kuznets erstellte sein vielzitiertes Diagramm eines umgekehrten Us in den 1950er Jahren auf Basis von Beobachtungen in drei Ökonomien (USA, Deutschland, Großbritannien). Aus Daten der vorvergangenen Jahrzehnte stellte Kuznets fest, dass die Ungleichverteilung des Wohlstandes mit steigendem Pro-Kopf-Einkommen zunächst stiege um dann – wie bei einer Achterbahnfahrt – wieder abzunehmen.
In der Folge wurde dieses Kuznets-Diagramm als fast schon naturgesetzmäßige Gegebenheit für viele wirtschaftspolitische Entscheidungen weltweit genutzt.
Doch wie verhält es sich eigentlich in der Realität mit dieser Kuznets-Annahme? Führt Wachstum und steigendes Pro-Kopf-Einkommen auch wirklich zu weniger Ungleichheit? Kate Raworth malt ein ernüchterndes Bild in dieser Hinsicht. Kapital- und Landbesitz entkoppeln sich immer stärker vom Wachstum der Arbeitslöhne. Wer nur seine Arbeitskraft anzubieten hat, wird die Ungleichheit zu den Land- und Kapitalbesitzern nicht ausgleichen können. Diese Ungleichheit könnte noch dadurch verstärkt werden, dass auch neue Ressourcen wie patentiertes geistiges Eigentum oder „Roboterproduktivität“ in den Händen weniger Unternehmen liegen.
Eine Lösung könnte die Stärkung von dezentralen Netzwerken sein. Dies können beispielsweise Nachbarschaftshilfen oder Genossenschaften sein. Auch digitale Netzwerke wie z.B. die Open Source Bewegung zählen dazu. Die Leistungserbringung wird in diesen Netzwerken oft dezentral erbracht und neben dem wirtschaftlichen Interesse werden auch die anderen menschlichen Bedürfnisse nach sozialer Nähe und Eigenverantwortung bedient. Auf diese Weise werden die Erträge der Arbeit innerhalb der Netzwerke gerechter verteilt und die Teilhabe jedes Einzelnen steigt.
Wirtschaftliches Handeln und die Produktion von Waren und Gütern erzeugen Umweltverschmutzung und Ressourcenverbrauch. Die bisherige Annahme geht davon aus, dass Wachstum zu ökologischerer Wirtschaft führt. Der Klimawandel und immer stärker auftretende Umweltprobleme stellen diese Annahme in Frage. Kate Raworth schlägt daher vor, das Wirtschaftssystem von Anfang an auf Regeneration auszurichten.
In der klassischen Wirtschaftstheorie gilt bisher: Mit steigendem Pro-Kopf-Einkommen einer Gesellschaft steige zunächst auch die Verschmutzung und der Ressourcenverbrauch an, um dann mit weiter steigendem finanziellen Wohlstand wieder abzunehmen. Die Begründung für diese Annahme lautet, dass arme Volkswirtschaften zu arm für Umweltschutz seien und erst mit steigendem BIP die finanziellen Mittel für ökologisches Handeln verfügbar wären. Durch den steigenden Wohlstand – so der vorherrschende Mythos – würden die Umweltschäden schon wieder repariert werden.Die unten gezeigte Umwelt-Kuznets-Kurve kommt aus einer Berechnung der US-Ökonomen Gene Grossman und Alan Krueger in den 1990er Jahren. Die beiden Ökonomen werteten die Daten von ca. 40 Ländern aus und stellten fest, dass mit steigendem Pro-Kopf-Einkommen die lokale Wasser- und Luftverschmutzung abnahm.
Die Berechnungen gingen soweit, dass sogar monetäre Schwellenwerte für bestimmte Schadstoffgruppen bestimmt wurden: „For lead contamination in rivers, they found, pollution peaked and started to fall when national income reached $1,887 per person […]“ (vgl. Raworth, Seite 208). Allerdings hat dieses Modell signifikante Schwächen:
Nichts desto trotz verfestigte sich unter klassischen Ökonomen die Ansicht, dass es sich bei der Analyse von Grossman und Krueger um eine Gesetzmäßigkeit handeln müsse. Ein gefährlicher Trugschluss, denn die Industrie folgt einer degenerativen Ausrichtung und Umweltschutz ist kein Automatismus, keine Gesetzmäßigkeit.
Kate Raworth betont nun, dass Wirtschaftssysteme keine Frage von Gesetzmäßigkeiten seien, sondern eine Frage der Ausgestaltung (Design). Und das Wirtschaftsdesign der Gegenwart ist im Wesentlichen auf Verbrauch ausgelegt. Verbrauch von Ressourcen, Umwelt, Wasser usw. und am Ende entsteht Abfall. Raworth spricht in diesem Zusammenhang von einem degenerativen Wirtschaftsdesign.
Energie und Rohstoffe werden für die Produktion von Produkten, Waren und Dienstleistungen verwendet. Die Produkte werden verwendet und am Ende landen sie auf dem Müll. Abwärme und Abfallstoffe entstehen (z.B. CO2, Sondermüll, Plastikmüll etc.) Dieses Wirtschaftsdesign ist heute noch in vielen Branchen und Bereichen zu finden. Man spricht auch von einem „Cradle-To-Grave“-Modell.
Das Wirtschaftsdesign der Zukunft müsse nach regenerativen Aspekten ausgerichtet werden. Kate Raworth bietet hier das Bild eines „Schmetterlings-Designs“ an. Diesem Wirtschaftsdesign liegt das „Cradle-To-Cradle-Prinzip“ zugrunde: Abfallstoffe des einen Produktionsprozesses dienen als Rohstoffe für einen anderen Produktionsprozess. Nach dem Ende der Nutzungszeit sind die Produkte (möglichst) zu 100% recyclingfähig.
Dieses „Schmetterlingsdesign“ von „Cradle-To-Cradle“ bietet viele Vorteile gegenüber dem „Raupenmodell“ (Cradle-To-Grave):
Es geht darum, „eine Wirtschaftsordnung aufzubauen, die das menschliche Wohlergehen fördert, unabhängig davon, ob das Bruttoinlandsprodukt steigt, fällt oder auf einem bestimmten Niveau verharrt.“
Kate Raworth
Würde sich das Weltsozialprodukt mit 3% Wachstum jährlich fortsetzen, so würde sich das Volumen von ca. 80 Billionen US-Dollar im Jahr 2015 auf das Dreifache im 2050 erhöht haben. 2100 wäre es schon eine Verzehnfachung auf 800 Billionen US-Dollar und im Jahre 2200 hätten wir die 240-fache Wirtschaftsleistung im Vergleich zu heute! Und das alles ist nicht inflationsbereinigt. Man stelle sich den Druck vor, den eine solche Wirtschaftsleistung auf die Ressourcen unseres Planeten ausüben würden. Wir würden es nicht überleben!
Kate Raworth zieht in ihrem TED Talk und ihrem Buch den Vergleich mit einem Flugzeug, welches startet, steigt und niemals landet. Wo würde dieses Flugzeug hingelangen? Diese Frage habe kein klassischer Ökonom jemals zufriedenstellend beantwortet. Entweder, so Raworth, weil sie sich damit nicht beschäftigt hätten, es einfach nicht wüssten oder weil diese Vorstellung sehr unbehaglich sei und daher lieber verschoben und verdrängt werde.
Der ehemalige McKinsey-Partner Frédéric Laloux schreibt zum unendlichen Wachstum um des Wachstums willen in seinem Buch „Reinventing Organizations“:
„(…) in der medizinischen Terminologie würde man das (gemeint ist das Wachstum) einfach als Krebs bezeichnen.“
Frédéric Laloux
Kate Raworth betont, dass Wachstum nicht gleichbedeutend mit Wohlstand sei und schreibt:
„Wir haben eine Wirtschaft, die wachsen muss, unabhängig davon, ob dies unser Wohlergehen fördert oder nicht. Wir brauchen eine Wirtschaft, die unser Wohlergehen fördert, unabhängig davon, ob sie wächst oder nicht.“
Kate Raworth
Das Streben nach Wachstum in gesättigten Volkswirtschaften führe laut Raworth häufig zu einer Deregulierung von Märkten und Gesetzen. Diese Deregulierung fördere dann häufig riskante „Produkte“ in der Finanzbranche und führe zu Spekulationsblasen, steigenden Immobilienpreisen oder Schuldenkrisen. Das Ergebnis sei dann wenig förderlich für das Wohlbefinden der Menschen.
Kate Raworth (S. 324)
„Diese politischen Aktivitäten erscheinen wie der Versuch aus einem Flugzeug, dem der Treibstoff ausgeht, wertvolle Fracht abzuwerfen, anstatt zuzugeben, dass man so schnell wie möglich landen muss.“
Das Kernproblem der Wachstumssucht sei, die Frage „Wie sieht der Ertrag meines Investments aus?“. Diese Frage müsse in einer agnostischen Sichtweise gelöst werden, so Raworth. Eine Idee dafür seien sog. Evergreen Direct Investings (EDI): akzeptable und stabile Erträge aus reifen Unternehmen, die nur noch wenig wachsen. EDI ermöglicht Unternehmen, sich wie ein Baum zu verhalten – das Wachstum als solches endet und die Früchte in Form von fairen Ertragsbeteiligungen werden regelmäßig geerntet.
Es gebe dabei allerdings ein Problem, welches die Akzeptanz dieser Überlegungen in Frage stelle: Geld ist selbst zur Ware geworden, nutzt sich nicht ab. Damit ist der eigentliche Zweck des Geldes, nämlich Tauschmittel zu sein, in den Hintergrund getreten. Raworth bringt an dieser Stelle die sog. Demurrageals kleine Gebühr für das Halten von Geld ins Gespräch. Das Streben nach Gewinn würde ersetzt werden durch das Streben nach Werterhaltung.
Doch diese agnostische Sichtweise auf das Wirtschaftswachstum werde häufig durch politische und soziale Abhängigkeiten vom Wachstumszwang getrübt.
Was bewegt Regierungen und Staaten, den Status Quo der „Wachstumsnotwendigkeit“ beizubehalten? Raworth benennt drei wesentliche Punkte:
Neben den politischen Abhängigkeiten vom Wachstum gäbe es auch soziale, individuelle Abhängigkeiten. Obwohl es uns heute besser gehe, als so manchem König vergangener Jahrhunderte, befinden wir uns in einer ständigen Konsumphase und vergleichen uns mit dem materiellen Wohlstand in der Peer-Group (z.B. dem Nachbarn). Wir definieren uns häufig über neu erworbene Produkte.
Darüber hinaus (ist) „Wachstum (…) ein Ersatz für Einkommensgleichheit. Solange es Wachstum gibt, gibt es auch Hoffnung, und das macht auch große Einkommensunterschiede erträglich.“ (Henry Wallich, ehemaliger Gouverneur der US-Notenbank)Statt zu konsumieren gäbe es fünf Handlungs- und Verhaltensweisen, die Wohlergehen deutlich besser fördern würden als Wachstum:
Kate Raworth hat die Hoffnung, dass wir uns auf diese Werte besinnen. Das wir alle mit diesem neuen Rüstzeug Ökonomen des 21. Jahrhunderts werden und selbst auch für einen Umbau der bestehenden Wirtschaftsordnung eintreten. Es gibt viele gute Gründe dafür, das aktiv zu tun.
Der Ansatz von Kate Raworth ist meines Erachtens nach ein konstruktiver Gegenentwurf zu den veralteten Wirtschaftslehren, die in die aktuelle Klimakrise geführt haben. Die Donut Ökonomie betrachtet Wirkzusammenhänge ganzheitlich und macht Vorschläge zu einer nachhaltigen und wohlstandserhaltenen Wirtschaft. Viele Ideen erscheinen umsetzbar, wenn der politische Wille vorhanden ist, ungeschriebene Dogmen zu hinterfragen. Meines Erachtens nach ist eine Beschäftigung mit solchen Ansätzen alternativlos. Auf jeden Fall bietet Raworth eine gute Gelegenheit, in den Dialog einzutreten und Dinge zu verändern.
Die Donut-Ökonomie ist ein neues Wirtschaftsmodell, welches sowohl die UN-Nachhaltigkeitsziele als auch die Folgen wirtschaftlichen Handelns explizit mit einbezieht. Ökologische Nachhaltigkeit und wirtschaftliches Handeln sollen in Einklang gebracht werden. Die Wirtschaftswissenschaftlerin Kate Raworth hat den Begriff geprägt und ein Buch über das System geschrieben.
Im Zentrum der Donut-Ökonomie steht das Gedeihen der Menschheit. Dabei ist Nachhaltigkeit ein entscheidendes Kriterium. Wirtschaftliches Handeln soll das Gedeihen der Menschheit unterstützen.
Ein Donut symbolisiert die planetarischen Obergrenzen für Ressourcen und die sozialen Untergrenzen, die notwendig sind, um ein sozial gerechtes Leben führen zu können. Innerhalb dieses Rings kann gedeihliches Leben möglich sein.
Klassische Wirtschaftstheorien stellen das Wirtschaftswachstum in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen. Nur wenn die Wirtschaft dauerhaft wachsen würde, wäre dies auch der Menschheit dienlich. Die Donut-Ökonomie sieht das anders und der Mittelpunkt das Gedeihen der Menschheit. Unendliches ökonomisches Wachstum führe letztlich zu einer Zerstörung der Lebensgrundlagen und ist daher kein Ziel oder Selbstzweck.
Kate Raworth zeichnet in der Donut Ökonomie insgesamt sieben Felder, die sich von der klassischen Wirtschaftstheorie unterscheiden.
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